Bild 1: Versagensmechanismus an der Ortsbrust

Bild 2a: Resultat nicht ausreichender Ortsbruststützung

Die Notwendigkeit des Stützdruckes
Im Tunnelbau wird der Boden an der Ortsbrust abgebaut. Das Gewicht der Bodenschichten vor der Ortbrust und oberhalb des Tunnels bewirkt einen aktiven Erddruck, der auf die Ortbrust wirkt. Verkehrs- und Oberflächenlasten erhöhen zusätzlich den Erddruck. Neben dem Erddruck wirkt der anstehende Wasserdruck auf die Ortsbrust. Dieser Zustand ist in Bild 1 dargestellt.

Die Bodenschichten vor der Ortsbrust sollten eine ausreichende Festigkeit aufweisen, um diesen Kräften entgegenwirken zu können. In vielen Projekten durchqueren Tunnel Schichten aus Lockergestein oder verwittertem Gestein. Die Ortsbrust kann nicht fest genug sein, um den einwirkenden Kräften entgegenzuwirken. Dann besteht die Gefahr, dass die Ortsbrust instabil wird und einbricht. Das Resultat sind extreme Setzungen an der Oberfläche, wie im Bild 2 dargestellt.

In diesen Fällen muss ein Druck an der Ortsbrust aufgebaut werden, um den Kräften aus Erddruck, Wasserdruck und Oberflächenlasten entgegenzuwirken. Dieser Druck ist bekannt als Stützdruck. Es besteht die Möglichkeit, dass auch in standfesten Geologien ein Stützdruck aufgebracht werden muss, um ein Eindringen von Wasser in den Abbauraum zu verhindern. Dieser könnte Konsolidierungen und somit ungewollte Setzungen zur Folge haben.

Im maschinellen Tunnelbau wird der Stützdruck durch unterschiedliche Medien aufgebracht. Gebräuchliche Stützmedien sind Bentonitslurry, Erdbrei und Druckluft. Die jeweiligen Stützmedien sind abhängig von der Geologie und definieren den Maschinentyp.

Bild 2b

Wird ein für die gegebenen Verhältnisse zu hoher Stützdruck eingestellt, besteht die Gefahr von Bodenhebungen, Ausbläsern oder Aufbrüchen. Ein zu geringer Stützdruck hingegen hat erhöhte Setzungen zur unmittelbaren Folge. Daraus folgt, dass der Stützdruck nur in einem eng gefassten Bereich seine Funktion vollständig erfüllt und einen verlässlichen Vortrieb gewährleistet.

Zusätzlich können mit einer korrekten Stützdruckberechnung Drucklufteinstiege für Werkzeugwechsel und Schneidradinspektionen sicher durchgeführt werden.




 

Methoden zum Aufbringen des Stützdruckes
Die geologischen Verhältnisse in einem Projekt bestimmen im Wesentlichen die Methode zum Aufbringen des Stützdruckes. Der gewählte TBM Typ hängt entscheidend von dieser Entscheidung ab.

Bild 3: Slurry TBM

1. Slurryschild
Wenn eine TBM mit einem Slurryschild (auch Hydroschild) gewählt wird, wird der Stützdruck mittels einer unter Druck gesetzten Bentonitslurry (Mischung aus Wasser und einem besonderen Ton) aufgebracht. Die Abbaukammer ist vollständig mit der Slurry gefüllt, die zum einen die Stützung übernimmt und gleichzeitig als Transportmedium für das abgebaute Material dient, um es aus dem Tunnel zu befördern. Bei der Slurryschildtechnoglogie wird der Druck direkt über die Einspeisung und Förderung der Slurry gesteuert. Anders erfolgt die Druckregelung bei dem Mixschild. Hier wird die Bentonitslurry in der Arbeitskammer mit einer Druckluftblase kontrolliert. Die Übertragung des Stützdruckes auf die Ortsbrust erfolgt mit Hilfe der rheologischen Eigenschaften der Bentonitslurry. Aus diesem Grund müssen diese Eigenschaften während des Vortriebes überwacht und protokolliert werden.

Bild 4: EPB TBM

2. Earth Pressure Balance (EPB) Schild
Bei einem Vortrieb mit einer Earth Pressure Balance (EPB) TBM wird die Ortsbrust mit einem Erdbrei aus dem abgebauten Material gestützt. Um eine bessere Konditionierung des Erdbreis zu erreichen, wird diesem Wasser und Zusatzstoffe (i. d. R. Schaum) beigemengt und mit dem Schneidrad vermischt. Diese Technik verbessert die Bodenkonsistenz und die Verarbeitbarkeit des Erdbreis einhergehend mit einer Reduzierung des Drehmomentes.
Im geschlossenen Modus ist die Abbaukammer vollständig mit Erdbrei gefüllt. Der Stützdruck wird über den durch die Vortriebskräfte unter Druck gesetzten Erdbrei auf die Ortsbrust übertragen. Die Druckröhre wird durch die Vortriebsgeschwindigkeit in Kombination mit der Fördergeschwindigkeit der Schnecke gesteuert. Der herrschende Stützdruck wird mit Sensoren gemessen, die sich in der Abbaukammer befinden. Mit Hilfe dieser Sensoren kann der Vortrieb optimal gesteuert werden.

3. Druckluftstützung
Es ist möglich, die Ortsbrust mit Druckluft zu stützen. Die Druckluftstützung wird im maschinellen Tunnelbau im Wesentlichen für Werkzeugkontrollen und Reparaturen benötigt. Zu diesem Zweck wird das jeweilige Stützmedium abgesenkt und der entstehende Freiraum mit Druckluft gestützt. Wenn das erwünschte Absenkziel erreicht wurde und der notwendige Stützdruck eingestellt wurde, können die erforderlichen Arbeiten durchgeführt werden.

Stützdruckberechnung
Für die Stützdruckberechnung müssen die folgenden Faktoren berücksichtigt werden.

Bild 5: Bestandteile des Stützdruckes

Auswahl eines repräsentativen Querschnittes
Tunnelüberdeckung
Tunneldurchmesser
Grundwasserstand
Stützmedium
Aktiver Erddruck
Sicherheitskonzept und Toleranzen
Vortriebszustände

1. Auswahl geeigneter Querschnitte
Ein sorgfältig ausgesuchter Querschnitt, der die wichtigsten Eigenschaften eines Abschnittes repräsentiert, ist der ökonomischste Weg, um eine Stützdruckberechnung durchzuführen. Folgende Fakten sollten bei der Auswahl eines Berechnungsquerschnittes betrachtet werden:


Der Grundwasserspiegel hat einen starken Einfluss auf die Höhe des Stützdruckes. Abschnitte mit hoher Auflast oder Bodenschichten mit geringer Festigkeit haben einen Einfluss auf den Erddruck. Auf der anderen Seite sind Abschnitte mit geringer Überdeckung maßgebend für die Sicherheit gegen Aufbruch und Ausbläser

Bild 6

2. Tiefe und Durchmesser des Tunnels
Mit der Tiefe des Tunnels nimmt der Grundwasserdruck linear zu. Die Änderungen im Erddruck hängen von den Bodenparametern und dem gewählten Erddruckmodell ab. Mit einer Erhöhung des Tunneldurchmessers vergrößert sich die zu stützende Ortsbrustfläche quadratisch. Das hat verständlicherweise eine Auswirkung auf die Höhe des Stützdruckes.

3. Wasserdruck
In die Stützdruckberechnung geht der hydrostatische Wasserdruck ein. Sollten mehrere Grundwasserspiegel vorhanden sein oder es zu signifikanten Änderungen (z. B.: Tide) kommen, muss der geeignete Grundwasserspiegel eingegeben werden.
Wasserdruck = Eigengewicht Wasser x Wasserstand bis Absenkziel

4. Stützmedium
Wie bereits in Abschnitt 2. erwähnt, ist das Stützmedium unmittelbar mit dem TBM Typ und dem Vortriebsmodus (Vortrieb oder Absenkung) verbunden. Slurry TBMs verwenden eine mit Druck beaufschlagte Suspension, während EPB TBM's die Ortbrust mit Erdbrei stützen. Die Unterschiede in der Wichte des Mediums und der jeweiligen Sicherheitszuschläge (siehe 3.6) müssen in der Berechnung berücksichtigt werden. Sollte Druckluft als Medium genutzt werden, muss zusätzlich der im Vergleich zu den oben genannten Stützmedien unterschiedliche Druckverlauf betrachtet werden.

Bild 10a:
Schematische Verläufe von Erd-, Wasser und
Stützdruck für verschiedene Zustände
a. Lasten, b. TBM, c. Vortriebsmodus, d. 1/3 Absenkung,
e. ½ Absenkung, f. 1/1 Absenkungen

5. Aktiver Erddruck
Um den benötigten aktiven Erddruck auf die Ortsbrust in einem Bereich bestimmen zu können, sind die Definitionen des Bodenaufbaus, der Oberflächenlasten und des Grundwasserspiegels notwendig.
Über dem Tunnel befindliche Zusatzlasten wie Gebäude, Dämme, Deiche und Auffüllungen werden als „Dauerhafte Auflast" zusammengefasst. Verkehrslasten wie beispielsweise Kräne oder Fahrzeuge werden als "Temporäre Auflast" bezeichnet. Beide Lastfälle gehen in die Berechnung des Stützdrucks ein, jedoch werden für die Aufbruch- und Ausbläsernachweise lediglich die dauerhaften Auflasten berücksichtigt. Bodeneigenschaften sind die Schlüsselfaktoren im Tunnelbau. Neben der Sieblinie sind der Bodenaufbau und die Festigkeitsparameter der einzelnen Bodenschichten von hoher Bedeutung für die Stützdruckberechnung. Die Scherfestigkeit ist ausschlaggebend für die Ortsbruststabilität. In Tonböden wird zusätzlich die undrainierte Kohäsion cu berücksichtigt.

Bild 10b: Schematische Verläufe

In Sand und Kiesböden sind die drainierte Kohäsion c' und der Reibungswinkel von Interesse. Jede Bodenschicht unterscheidet sich in ihren Bodenparametern. Die Unterschiede können im Eigengewicht, Schichtdicke oder den Festigkeitsparameter, wie Reibungswinkel und Kohäsion auftreten. Der aktive Erddruck kann hier mit den Erddruckmodellen nach Anagnostou & Kovári und mit der DIN 4085 berechnet werden. Der wesentliche Unterschied der beiden Berechnungsmodelle liegt in der Einbeziehung der über dem Tunnel liegenden Schichten. Im ersten Modell gehen die Festigkeitsparameter in der Silowirkung ein. Im zweiten Modell wird lediglich das Verhältnis der Tunneltiefe zum Tunneldurchmesser ins Verhältnis gesetzt, um so den dreidimensionalen Zustand berechnen zu können. Das Modell nach Anagnostou & Kovári ist für den Tunnelbau wesentlich angepasster und liefert genauere Ergebnisse als das Verfahren nach DIN4085.

6. A. Anagnostou & Kovári Model
Dieses Modell basiert auf dem Bruchmechanismus von HORN. Der in Bild 6 dargestellte Bruchmechanismus setzt sich aus einem Gleitkeil und dem darüber liegenden rechteckigen Prisma zusammen. Dieses Modell wurde durch Anagnostou & Kovári in den 90er Jahren weiterentwickelt und mit der Silotheorie nach JANSSEN und TERZAGHI kombiniert. Die effektiven vertikalen Spannungen, die in der Tunnelfirste wirken, werden nach der Silotheorie aufgrund der Schubspannungen an den Gleitflächen des Prismas reduziert. Diese reduzierte vertikale Spannung wird als Belastung auf der Oberkante des Gleitkeils angesetzt. Die über dem Tunnel liegenden Bodenschichten haben somit einen großen Einfluss auf die Bestimmung der vertikalen Spannungen. Die Standsicherheit der Ortsbrust wird durch das Kräftegleichgewicht am Gleitkeil nachgewiesen. Dafür muss die Stützkraft S den am Gleitkeil wirkenden Kräften entgegenwirken.

Bild 7: Modell von Anagnostou & Kovári

6. B. DIN Modell
In diesem Modell wird der horizontal aktive Erddruck nach DIN 4085 bestimmt, welche im Wesentlichen auf dem Bruchkörpermodell nach Piaskowski & Kowalewski beruht. Dieses ist in Bild 7 dargestellt. Bei dieser Berechnungsmethode wird die Ortsbrust in mehrere horizontale Streifen unterteilt. Um die dreidimensionale Wirkung zu modellieren, wird der zweidimensionale aktive Erddruck auf jeden Streifen berechnet und mittels eines Faktors abgemindert. Die Abminderungsfaktoren werden aus dem Verhältnis der Streifentiefe zum Durchmesser gebildet.

7. Sicherheitskonzept und Toleranzen
A. Partialsicherheitsfaktor
Um die Ortsbruststandsicherheit gewährleisten zu können, müssen die einwirkenden Kräfte aus Erd- und Wasserdruck mit einzelnen Sicherheitsfaktoren versehen werden. Summe einwirkender Kräfte = η a E a + η w W Wobei η a und η w die Partialsicherheitsfaktoren darstellen und E a den aktiven horizontalen Erddruck beschreibt. W ist die Kraft, die aus dem Grundwasser resultiert.

B. Ordinatenprüfung
Um ein lokales Kräfteungleichgewicht in einzelnen Bereichen der Ortsbrust zu verhindern, werden in diesen kritischen Bereichen zusätzliche Prüfungen durchgeführt. Diese Bereiche liegen in der Firste, der Sohle oder im Bereich des Absenkziels. In diesen Punkten muss der Stützdruck den dort herrschenden Wasserdruck um mindestens 10 kN/m² überdrücken. Dieser Sicherheitszuschlag muss auch bei dem Ausbläsersicherheitsnachweis berücksichtigt werden. Diese Überprüfung heißt Ordinatenprüfung. In Bild 8 ist ein Beispiel für eine Ordinatenprüfung bei einer 1/3 Absenkung dargestellt, wo der Wasserdruck im Bereich des Absenkniveaus durch den Stützdruck nicht überdrückt wird.

Bild 8: Modell von Piaskowski & Kowalewski

C. Regeltoleranz
Bei Slurryschildvortrieben wird der Stützdruck direkt über den Bentonitkreislauf gesteuert, bei Mixschilden/Hydroschilden wird dieses durch ein Druckluftpolster geregelt. Um einer Ungenauigkeit der Regelung Rechnung zu tragen, ist es notwendig, den Stützdruck mit einem zusätzlichen Zuschlag zu versehen. Dieser Zuschlag wird als Regeltoleranz bezeichnet und liegt in der Regel bei 0,1 bar. Eine EPB TBM steuert den Stützdruck nur durch die Vortriebsgeschwindigkeit und die Abförderung des Materials über die Schnecke. In der Regel liegt hier die Regeltoleranz bei 0,3 bar.

8. Vortriebszustände
Während sich die TBM im Vortriebsmodus befindet, ist die Abbaukammer in der Regel vollständig mit dem jeweiligen Stützmedium gefüllt. Um den Einstieg von Personal zu ermöglichen, muss das Stützmedium abgesenkt und die Ortsbrust mit Druckluft gestützt werden. Die Druckverläufe in dem Bereich der Druckluftstützung unterscheiden sich deutlich von denen des normalen Stützmediums. Dieses wird in Bild 9 dargestellt.
Die Regeltoleranz kann ebenfalls unterschiedlich zu dem Vortriebsmodus sein. Während des Vortriebs erhöht sich die Dichte des Stützmediums, vor den Drucklufteinstiegen sollte jedoch die Slurry in der Arbeitskammer gegen Frischsuspension mit einer geringeren Dichte ausgetauscht werden. So können die rheologischen Eigenschaften der Suspension besser ausgenutzt werden. Das hat zur Folge, dass für die Berechnung der einzelnen Betriebszustände unterschiedliche Suspensionsdichten berücksichtigt werden müssen. Die standardmäßigen Betriebszustände sind hier aufgelistet:

Bild 9: Beispiel Ordinatenprüfung

9. Vortriebsmodus
Im Vortriebsmodus ist die Abbaukammer vollständig mit einem Gemisch aus Stützmedium
und abgebauten Boden gefüllt.
1/3 Absenkung
Das Niveau der Stützflüssigkeit wird um 1/3 abgesenkt.
Das ist nur möglich,wenn die Absenktiefe größer 2 m ist.
1/2 Absenkung
Das Niveau des Stützmediums wird bis zur Tunnelachse abgesenkt.
1/1 Absenkung
Das Niveau des Stützmediums wird bis zur Tunnelsohle abgesenkt.

Bild 11: Ausbläser

Ausbläsernachweis
Bei einem Tunnel mit relativer geringer Überdeckung kann der aufgebrachte Stützdruck im Vortriebsfall zu einem Aufbruch des Bodens und bei Druckluftstützung zu einem Ausbläser führen. Als Folge hätte dieses Szenario den schlagartigen Verlust der Ortsbruststützung. Um diesem Vorzubeugen wird das oberhalb des Tunnels liegende Gewicht dem Stützdruck entgegengestellt. Der eingestellte Stützdruck, multipliziert mit einem Stützfaktor muss kleiner als das Bodengewicht sein, um diesen Nachweis zu erfüllen.

Diese zusätzliche Sicherheitsprüfung sollte zwingend mit dem Stützdrucknachweis durchgeführt werden.